Die Frauen wollen Sicherheit für sich und ihre Kinder Marcella Pirrone, Rechtsanwältin und Präsidentin des europäischen Netzwerks „Wave – Women against violence Europe“, informiert Ist die Rechtssprechung so weit, dass sie Frauen vor Gewalt und deren Folgen schützen kann? In Italien gibt es gute Gesetze. Die sind in enger Zusammenarbeit mit allen Interessenvertretungen ausgearbeitet worden. Problematisch und schlecht ist deren Anwendung, denn die hängt von Menschen ab. Es geht darum, Gewalt richtig sehen und lesen zu können, denn dies ist ein komplexes Problem zu dem es fachliche Kompetenz braucht. Eine spezifische Ausbildung zum Thema Gewalt gegen Frauen ist in keinem Studienlehrgang vorgesehen. Eine solche wäre aber für alle Fachkräfte (Justiz, Polizei, Soziales und Gesundheit) dringend nötig, um die althergebrachten Muster zu überwinden. Zu welchen Fragen werden Sie um Hilfe gebeten? Die Frauen brauchen Unterstützung, um aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. Dafür ist eine klare rechtliche Beratung genauso wichtig wie eine Analyse ihrer Risikosituation, damit sie sich sicher fühlen können. Die Frauen wollen nämlich vor allem Sicherheit für sich und ihre Kinder und ein ruhiges Leben.Wenn sie sich aus einer Gewaltsituation befreien wollen, können sie leider das Leben riskieren. Auch das häufig zugestandene Besuchsrecht der Väter ist problematisch. Wenn Kinder Opfer miterlebter Gewalt sind, haben sie Angst vor ihren Vätern, dies wird aber nicht ernst genommen. Rechtlich erkennt man inzwischen die miterlebte Gewalt als Misshandlung, auch wenn es keine Übergriffe auf die Kinder selbst gegeben hat. Wie schwer fällt Frauen der Weg zur Rechtsanwältin? Vielen Frauen fällt dieser Weg sehr schwer, weil sie sich selbst die Schuld für die Übergriffe geben. Und ihr Umfeld spielt die Übergriffe oft herunter, ganz nach dem Motto „Alles nicht so schlimm“. Je weniger klar ist, dass es sich um Vergehen handelt, desto schwerer ist der Weg zur Rechtsberatung. Frauen, die aus einem Ambiente kommen, in dem alles nach heiler Welt aussehen will oder solche mit Männern in der Öffentlichkeit tun sich besonders schwer. Ihnen wird noch weniger geglaubt. Ist Rechtsberatung immer kostenpflichtig? Die Rechtsberatung ist nicht kostenpflichtig, wenn es sich um 2 spezifische Straftaten handelt: Missbrauch in der Familie und sexuelle Gewalt. Bei zivilrechtlichen Angelegenheiten wie Trennung oder Scheidung ist die rechtliche Begleitung nur dann kostenlos, wenn das Einkommen der Frau unter einem bestimmten Limit liegt. (Renate Mumelter) (Foto: Manuela Tessaro) Marcella Pirrone, Rechtsanwältin, ist seit über 30 Jahren zum Thema Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen und deren Kinder tätig; sie hat als feministische Aktivistin mit anderen Frauen das Frauenhaus Meran und das italienische Frauenhausnetzwerk „D.i.Re Donne in Rete contro la violenza“ mitbegründet , ist Vereinsfrau von GEA Bozen und seit Beginn 2020 Präsidentin vom europäischen Netzwerk „Wave – Women against violence Europe“.